So manch einer wird sich Fragen, was die Würdigung von Egon Bahrs Lebensleistung auf einer Website von Wirtschaftsmediatoren zu suchen hat. Die Antwort darauf könnte z.B. so lauten:
Meiner Ansicht nach, ist mit Egon Bahr einer der wichtigsten und erfolgreichsten Mediatoren, der per Definition dieser Rolle gerecht wird, gestorben, ohne dass er diese Rolle für sich in Anspruch genommen hat bzw. annehmen wollte.
In einem kleinen Briefwechsel, den ich zu diesem Thema mit ihm hatte, winkte er mit den Worten ab: “... ich keine ausreichenden Kenntnisse der Fachgebiete (Anm.: auf dem Fachgebiet der Mediation) habe...“.
Hier bin ich sicher, dass er sich irrt.
Im Folgenden möchte ich auf Basis der Beiträge des ARD-Fernsehens aus den Jahren 2010 bzw. 2012 - „Geheimoperation Ostpolitik“ und „Geheimdiplomat Egon Bahr“ - seine großartigen und die Welt bewegende Lebensleistung würdigen. Gleichzeitig möchte ich aufzeigen, dass er mit seinem Tun, aus meiner Sicht, der Prototyp eines Mediators in staatlichen Angelegenheiten war; ein Vorbild für mich als Mediator und mein Tun!
Weiter hinten finden Sie eine Sammlung von Fakten, Hinweisen und wörtlicher Zitate (*1- n)., sowie deren Video-Quellen, auf die ich im folgenden Text verweise.
„Wandel durch Annährung“
(Zitat E. Bahr 1963 ev. Akademie Tutzing – zur wünschenswerten Ostpolitik nach dem 2.Weltkrieg)
Diese Worte, oft zitiert und, vielleicht weil sie so schön plakativ sind - zunehmend weniger in ihrer Bedeutung hinterfragt, was Egon Bahr darunter verstand - haben bis heute nichts an ihrer Bedeutung verloren. Er bezweckte eine Politik der kleinen Schritte.
Egon Bahr: „... wir hatten den Wandel im Sinn, dass man den Status Quo zunächst mal militärpolitisch anerkennen müsste. Wir hatten im Sinn, was Kennedy gesagt hat: Wenn ich den Status Quo verändern will, muss ich ihn anerkennen. Wir hatten im Sinn, sich dem Osten zuzuwenden, sich ihm zu öffnen und damit ihn zu öffnen und dann die Voraussetzungen schaffen, um die Situation zu ändern...“
Sein Tun:
Im Jahr 1969 macht sich Staatssekretär Egon Bahr auf nach Russland, direkt nach Moskau, um das Schicksal der Deutschen Teilung zu wenden. Die neugewählte sozial-liberale Regierung unter Willy Brandt setzt auf Verständigung mit dem Ostblock.
Zuvor hatte er mit Henry Kissinger ein Treffen, um über die deutschen Vorhaben zu informieren.
Henry Kissinger: “... Egon kam nach Amerika, um mir zu erklären, was Brandt dachte, wie entschlossen er war, auf diesem Weg vorzugehen. Das hat mich überzeugt, dass es sinnlos wäre, für uns sich gegen etwas zu stellen, was in den Gedanken der Deutschen mit einer Möglichkeit der Linderung der Teilung und vielleicht der Wiedervereinigung enden könnte. Daraufhin entschieden wir uns mitzuarbeiten...“
Egon Bahr: “... Ich habe nicht gesagt, wenn Du nein sagst, werden wir es nicht machen - aber wir werden es machen! Und das hat dazu geführt, dass Henry mich aufmerksam gemacht hat oder vertraut gemacht hat mit seinem System der Back Channels“.
In diesem sogenannten Back-Channel spielten sich die wesentlichen Verhandlungsschritte der folgenden Jahre ab. Der ehem. General im KGB Wjatscheslaw Keworkow war damals Bahrs Kontaktmann nach Moskau. Beide umgingen so oft, und mit völliger Duldung ihrer obersten Dienstherren Brandt und Breschnew, ihre jeweiligen Außenministerien.
Horst Telschik (ehem. Berater H. Kohl) zu der Rolle Egon Bahrs: “... Die Übernahme einer solchen Aufgabe setzt voraus, dass der Bundeskanzler absolutes Vertrauen in Sie hat und umgekehrt, dass sie als Beauftragter natürlich zu 100 Prozent loyal ist und auch nur gegenüber einem spricht und sich öffnet und das ist der – Bundeskanzler...
Das hat natürlich die Opposition und die Öffentlichkeit geärgert – weil sie eben zu wenig erfahren haben – nur anders hätte er seine Loyalität verletzt...“
Bahr operierte oft völlig auf sich allein gestellt.
Als in einem fortgeschrittenen Stadium der Verhandlungen diese zu scheitern drohen, übertragen Breschnew und Gromyko die Rolle eines Verhandlers (Anm.: meiner Meinung nach, mehr die eines Mediators) an General Keworkow und Valentin Falin (ehem. Deutschlandexperte im Außenministerium der UdSSR). Falin hat, wie Egon Bahr sagt, ein Gefühl für die deutsche Sprache, so dass jetzt die Mediatoren die letztendlich gültige Formulierung für den Moskauer Vertrag finden.
Mit dem Abschluss des Moskauer-Vertrags, der Grundlage für zahlreiche Folgeverträge zwischen den Großmächten und auch mit der DDR, war die Basis für umfassende und wirksame Veränderungen geschaffen. Bisher scheinbar unverrückbare Positionen waren aufgelöst, es war der Anfang vom Ende des Kalten Krieges.
Egon Bahr wie auch Wjatscheslaw Keworkow und Vitali Falin traten, wie gute Mediatoren es tun sollten, in den Hintergrund und überließen den Regierungschefs ihre staatstragende Rolle bei der Unterzeichnung und anschließenden Umsetzung in anderen Gremien, Institutionen und der Wirtschaft.
Im Vergleich zu heute, sieht Bahr den Unterschied der Verhandlungen darin, existenzielle Entscheidungen zu treffen, statt, wie heute, Entscheidungen zu treffen unter dem Gesichtspunkt der Karriere. Wie sagte damals Egon Bahr: “...Das was diese Bundesregierung versucht, ist ein Prozess, D.h. ein Prozess, der lange dauern wird ,wo sie erprobt wie weit es geht wie weit man Felder findet auf denen man sich mit anderen Ländern verständigen kann...“
Valentin Falin: „Wir können wirklich stolz sein, dass es solche Leute, solche Politiker im Dienst ihre Landes überhaupt gab. Weil ein Lärm zu schaffen, das ist die leichteste Aufgabe. Aber aus Lärm eine Musik zu machen, dazu braucht man ein Talent...“
Und in seinem Brief an mich schreibt Egon Bahr: “... Nach meinen Erfahrungen sind die Grundsätze des Verhandelns auf den unterschiedlichen Feldern unseres Lebens nicht sehr unterschiedlich...“
1989 suchte Bahr über seine alten Kanäle Möglichkeiten zur Lösung des Problems der Botschaftsbesetzungen - “... hier muss man eine Regelung versuchen, bei der beide Seiten ihr Gesicht wahren können...“. Und weiter: “... diese fabelhaften (Geheim-)Dienste haben weder den Bau der Mauer, noch den Fall der Mauer vorhergesagt...“
Vor nicht allzu langer Zeit, im Sommer 2015, ist Bahr in Moskau gewesen und hat mit Gorbatschow in dem Sinne darüber gesprochen, “...wie bekommen wir die Ukraine-Krise auf einem anderen Weg gelöst? - ich dachte, man wäre schon weiter…“
Prinzipien einer Mediation
Betrachtet man Egon Bahrs Vorgehen, fällt auf, dass die einzelnen Schritte sich mit wesentlichen strukturellen und systematischen Methoden einer Mediation, so wie dies heute an Universitäten gelehrt wird, deckt.
- Synchronisation mit den Beteiligten
- Benennen der Verhandlungsregeln und Konfliktfelder
- Herausarbeiten der Interessen hinter den Positionen
- Fusion der verschiedenen Interessen
- Gemeinsamer Vertrag
Wie ist Egon Bahr vorgegangen:
a. Synchronisation mit den Bedürfnissen der anderen Seite und Vertrauen
bildende Maßnahmen (*1-3)
b. Entwickeln eines beidseitig akzeptierten Werte- und Regelsystems wie z.B.
- Verschwiegenheit (*4)
- Informiertheit (*5)
- keine Lügen (*1)
- alles kann besprochen werden (*6)
c. Daraus entwickelte sich dann die gemeinsame Zieldefinition:
- die Unverletzlichkeit der Grenzen
- eine verbindliche, europäische Sicherheitsarchitektur
(wie der Ukraine-Konflikt zeigt, ist das bis heute leider ein noch
unerledigtes Thema)
d. In unzähligen, geheimen Verhandlungen mit seinen russischen Back-Channel-
Partnern Entwickeln von Lösungsoptionen und Formulierungsvarianten
e. Moskauer-Vertrag (*7) als Basis der Vier-Mächte-Abkommens und dem
Grundlagenvertrag
f. Umsetzung durch den Grundlagenvertrag mit der damaligen DDR bis hin zum
Mauerfall
Egon Bahr der Mediator
Egon Bahr selbst verwies immer auf die Kraft und Wirkung des Back-Channels - quasi so etwas wie ein nur für die Medianten zugänglichen, vertraulichen Raum. Doch so ein Back-Channel alleine wäre Wirkungslos (bei einer Mediation würde man von der Vertrautheit der Verhandlungspartner mit verpflichtender Verschwiegenheit sprechen). Es waren die in großer Disziplin gelebten Regeln (sie weiter oben unter b.), die Egon Bahr zusammen mit W. Keworkow und V. Falin zum Erfolg geführt haben.
Völlig unabhängig davon lehrt man heute an den Universitäten beim Studium der Meditaion Regeln, die den damals gestellten Regeln ähneln bzw. auch gleichen als wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Meditaion.
Mediatoren müssen bei typischen Mediationen die Rolle des neutralen, allparteilichen Verhandlungsführers einnehmen, die es schaffen, die Konfliktparteien wieder so ins Gespräch zu bringen, dass diese ihre eigenen Lösungen finden.
Einzig und allein, weil es diese völlig staatsneutralen Person(en) in Zeiten des kalten Krieges nicht gab und geben konnte, fiel den agierenden Personen im Back-Channel die Rolle von Mediatoren und Verhandlern gleichzeitig zu. Entscheidend für den Erfolg war, wie oben schon gesagt, dass sich alle drei bei den Verhandlungen extrem diszipliniert an die zu Beginn definierten “Spielregeln“ hielten. Interessanterweise haben die Regierungschefs und Außenminister Brandt und Scheel auf der einen und Breschnew und Gromyko auf der anderen Seite nur dann eingegriffen, wenn es um das Abstecken der Verhandlungsgrenzen ging oder die Verhandlungen zu scheitern drohten.
Auch von Journalisten wird Egon Bahr mit solchen Worten beschrieben, wie sie auch für die Haltungen und Handlungen von Wirtschaftsmediatoren unerlässlich sind :
Fritz Pleitgen, ehem. ARD-Korrespondent Studio Moskau beschreibt die Rolle Bahrs so: “...Er hat Offene Geheimpolitik betrieben...“ – “...Taktiker und Visionär zugleich – denkt kühner als andere...“
Bahr selber sagt: “...wir waren in unserem Denken viel weiter, als das öffentliche Bewusstsein...“ und weiter: “ ...Herbert Wehner hat von dem baren Unsinn gesprochen – das muss man dann aushalten...“.
Hinweise und Zitatsammlung:
*1) Durch den funktionierenden Back-Channel identifiziert Egon Bahr die notwendigen und real wirksamen Zuständigkeiten unter den Führenden in der UdSSR. Durch lügenfreie ehrliche Aussagen von beiden Seiten wird so belastbares Vertrauen geschaffen.
*2) Bahr sorgt beispielsweise über Klaus Schütz (Regierender Bürgermeister Berlin) bei den Alliierten Kontrollmächten dafür, dass die Beschattung des CIA seines Back-Channel-Kontaktes beendet wird.
*3) Erhard Eppler: „Er kann sehr wohl und konnte damals von der Sowjetunion her denken, was haben die für Interessen, was haben die vielleicht für Wünsche , wovor haben sie Ängste und wie kann ich meine Interessen so formulieren, dass es auch als ihre verstehen. Ich glaube da kenne ich niemanden in meiner politischen Erfahrung, der das so gut kann, wie Egon Bahr...“
*4) Bahr: “Back-Chanel am diplomatischen Apparat vorbei Informationen auszutauschen war ungeheuer wichtig.
- weil so Missverständnisse auf diesem Wege beseitigt worden sind,
- weil klar gemacht werden konnte ohne Prestigeverlust gegenüber dem Außenminister anzuführen oder zu verletzen was bei uns geht und was bei uns nicht geht und was wir unbedingt brauchen.
Es wurde nach dem Moskauer-Vertrag, als es dann um das Viermächte-Abkommen in Berlin ging, fast noch wichtiger und hätte auch nicht funktioniert, wenn wir nicht gleichzeitig einen exakt gleichen Kanal ins Weiße Haus gehabt hätten - nicht nur zum Kremel sondern ins Weißen Haus. Das Weiße Haus hatte ja auch so einen Kanal in der Kremel, und da haben wir sozusagen diese 3er-Kombination in großer Intimität durchgespielt.“
*5) Bahr: “Gespräche blieben immer sachlich“.
*6) Egon Bahr: “... Es waren zwei ebenen, die offizielle Verhandlungsebene mit Gromyko und der ganzen Delegation und daneben lief der sich inzwischen entwickelnde Kanal – ohne die Botschafter, ohne die Auswärtigen Ämter – direkt...!“
*7) Egon Bahr: “Grenzen sollten in gegenseitigem Einvernehmen und nur in friedlichem Einvernehmen veränderbar sein“.
*8) Egon Bahr: “Alle Berichte, die ich von Moskau nach Bonn schickte blieben ohne Echo – als ob ich in Nebel hinein geschrieben hätte. Und das hat mich beunruhigt.
Und dann kam Scheel als Außenminister durch Moskau durch, der war auf dem Weg nach Indien... Meine erste Frage an Scheel war: Ich höre gar nichts....? Scheel: Was wollen sie denn hören? Solange Sie nichts hören ist alles in Ordnung. Machen Sie einfach weiter... „
Quellen:
Geheimoperation Ostpolitik (WDR 2010):
https://www.youtube.com/watch?v=ijlVpFdPjos
Der Geheimdiplomat Egon Bahr (WDR 2012):
https://www.youtube.com/watch?v=PgfuZvFUKCg
Zitat aus dem Videobeitrag vom 2.9.2011:
https://www.youtube.com/watch?v=GpZv_06XnJU